Als im Frühjahr letzten Jahres das Aus für die älteren Kernkraftwerke bevorstand, meldeten sich von allen Seiten die Warner, dass die Stromversorgung im kommenden Winter in eine kritische Lage geraten könnte. Doch nun ist es klar, dass es trotz der überraschend und vergleichsweise extremen Kälte keinen Engpass in der Versorgung gibt. Im Gegenteil: Deutschland exportiert sogar noch Strom, während es aktuell im europäischen Kernenergievorzeigeland Frankreich der Strom knapp wird und regional die Bürger aufgerufen werden, ihren Stromverbrauch zeitweise einzuschränken.
Deutschland exportiert trotz abgeschalteter Reaktoren
Im Frühjahr 2011 warnte auch die Bundesnetzagentur , „in den Wintermonaten könnte vor allem in Süddeutschland die Versorgung an einem kalten Tag kritisch werden, wenn keine erneuerbaren Energien verfügbar wären und außerdem die Nord-Südleitung ausfalle“. Der Präsident der Agentur, Matthias Kurth, empfahl damals, dass die Option offengehalten werden sollte, Kernkraftwerke wieder aufzuschalten Es sei sonst nicht auszuschließen, dass die Netzbetreiber einzelne Großverbraucher vom Netz nehmen müssten, um die Stabilität des Stromnetzes zu garantieren. Im Herbst war dann hingegen klar, dass es kein KKW im Stand-By-Betrieb geben wird. Deutschland exportierte trotz der abgeschalteten Reaktoren weiter Strom im erheblichen Umfang. Matthias Kurth meinte, dass es nun Kohle- und Gaskraftwerke richten sollten.
Kurz darauf zeigten Studien, dass nicht nur in diesem Winter sondern auf Dauer Gasturbinen ausreichen werden, um beim Umbau der Stromversorgung auf Erneuerbare Energien, Versorgungssicherheit herzustellen. Gleichzeitig wurde deutlich, dass der Zubau von Anlagen der Erneuerbare Energien eine viel größere Dynamik erfährt als erwartet.
Solarstrom erweist sich als stabilisierender Faktor
Dies zeigt sich nun in diesem Winter: Der Solarstrom erweist sich als wichtiger stabilisierender Faktor. In der „tageszeitung“ wird ein Sprecher des Übertragungsnetzbetreibers Amprion mit den Worten zitiert: „Die Fotovoltaik in Süddeutschland hilft uns gerade sehr.“ Ähnlich sei der Tenor bei Tennet. Die Fotovoltaik habe den Vorteil, dass ihre Einspeisung mit den Zeiten der Höchstlast im Netz zusammenfalle. In den letzten beiden Tagen hätte die Sonne in den Mittagsstunden zwischen 6.000 und 8.000 Megawatt zur Stromerzeugung beigetragen – so viel, wie fünf bis sechs Atomkraftwerke leisten.
Daher muss die deutsche Stromwirtschaft zugestehen, dass die befürchteten Engpässe nicht nur ausgeblieben sind, sondern sie sogar noch Nachbarländer mitversorgen können. Selbst in den um diese Jahreszeit kritischsten Stunden von 8 bis 9 Uhr und von 18 bis 19 Uhr exportiere Deutschland per saldo Strom, wie die „tageszeitung“ recherchierte. Am Freitagmorgen etwa habe der Exportüberschuss 4.000 bis 5.000 Megawatt betragen,-was einer Leistung von drei bis vier Atomkraftwerken entspricht. „Im Moment erleben wir eine Situation, die im Vorfeld immer als potenziell kritisch bezeichnet wurde“, wird eine Sprecherin des Übertragungsnetzbetreibers Tennet zitiert. Die gesamte Stromnachfrage in Deutschland war am Freitagmittag mit rund 70.000 Megawatt hoch, der Wind jedoch lieferte gleichzeitig weniger als 2.000 Megawatt. Die von der Netzagentur im Zuge des Atomausstiegs festgelegten Reservekraftwerke habe man noch nicht aktivieren müssen.
Atomstromland Frankreich braucht deutschen Strom
Erst durch den extremen Strombedarf des Kernenergielandes Frankreich sah sich die Netzagentur gezwungen, die deutsche “Kaltreserve” zu aktivieren. Die Kälte ließ die französischen Stromheizungen auf Anschlag laufen und wirbelte den europäischen Energiemarkt durcheinander. Frankreich war gezwungen teuren Strom zuzukaufen.
Um die Netzstabilität zu garantieren und die massive Nachfrage zu befriedigen, mussten die Netzbetreiber Strom aus Ersatzkraftwerken in Deutschland und Österreich anfordern. “Von Stromknappheit kann aber keine Rede sein”, versicherte eine Sprecherin der Bundesnetzagentur. “Wir exportieren derzeit viel Strom unter anderem nach Frankreich, weil dort sehr viele Heizungen mit Strom betrieben werden.” Es gehe bei diesen Maßnahmen darum, in Zeiten starker Nachfrage die Stabilität des Netzes zu garantieren.
Mehr im Artikel „Energiewende im Praxistest -Atomkraft an die Wand geblasen“ der taz, Berlin 4.2.2012