Das laute Wehklagen über unterdrückte Meinungen verleitet vor allem öffentlich-rechtliche Medien und Institute immer wieder dazu, im Übermaß ihre Pforten für deren Vertreter zu öffnen. Minderheitsmeinungen von Politikern, Unternehmern und Wissenschaftlern haben so oftmals ein Forum, das nicht ihrer Bedeutung in der jeweiligen Zunft entspricht. Den Meinungsäußerungen gemäßigter Rechtspopulisten, sogenannter Klimaskeptiker, religöser Fundamentalisten u.ä. Gruppierungen wird dabei nicht selten soviel Raum eingeräumt, wie der Position der großen Mehrheit der Experten. Mit diesem scheinbar ausgeglichenen Verhältnis wollen Medienschaffende den Vorwurf der Wehklagenden ausräumen, dass durch eine Verschwörung der Mehrheitsgesellschaft deren Meinung unterdrückt wird.
Doch ist diese Klage berechtigt?
Meinungsfreiheit ist ein garantiertes Grundrecht. Und dass bei uns, wie in einigen anderen Ländern, Menschen nur für die Äußerung ihrer Meinung eingesperrt würden, kann nun niemand behaupten. Es gibt zudem eine große Vielfalt an Möglichkeiten diese zu äußern: Demonstrationen und Leserbriefe, Straßeninterviews von Fernseh- und Radiosendern, Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen, Artikel in Zeitschriften und Internet, Plakate, Bücher und sonstige Printmedien. Erzwingen, dass die eigene Meinung wahr- oder gar wichtiger genommen wird als eine andere, kann niemand. Dies mag für manche enttäuschend sein, die für sich die einzig gültige Wahrheit reklamieren.
Herr Sarrazin kann dies sicher nicht beklagen. Er hatte als unterbeschäftigter, aber dennoch hochbezahlter Bankmanager Zeit, ein Buch über eine Herzensangelegenheit zu schreiben. Dieses ist wochenlang vor der Veröffentlichung kostenlos in allen Medien beworben worden. Danach wurde er als Autor in jede Talkshow geladen, um seine hochwissenschaftlichen Diskurs über sozialwissenschaftliche und genetische Themen zu verteidigen. Doch gibt es bei aller Meinungsfreiheit keinen Schutz vor Kritik und Widerspruch. Merkwürdigerweise sind es gerade Wissenschaftler oder die sich für solche halten, regelrecht empört darüber, wenn jemand sich erdreistet, ihre abweichende Postion wissenschaftlich zu widerlegen.
Als Wissenschaft getarnte Dogmen
Besonders deutlich ist dieses Phänomen, wenn sich religiöse Dogmen als Wissenschaft tarnen, wie es beim Intelligent Design der Kreationisten der Fall ist. Hier schlagen dann schnell die Emotionen hoch. Und meist wird mit „gleicher Münze heimgezahlt.“ Die Vertreter des christlichen Dogmas der Erschaffung der Welt werfen den Evolutionswissenschaftlern vor, dass diese nur ein Dogma zu verteidigen und sich nicht auf wisssenschaftliche Diskussionen einlassen. Doch bei einem ernsthaften Disput begeben sich die Naturwissenschaftler auf Glatteis, da es gar keine gemeinsame Basis gibt, die nunmal Voraussetzung für diesen Disput wäre. Jede wissenschaftliche Grundlage wird angezweifelt, was philosophisch sicherlich interessant ist. Nur für die Diskussion eines konkreten Aspekts ist so keine gemeinsame Basis vorhanden.
Auch bei den sog. Klimaskeptikern gibt es eine große Gruppe, die mit religiösem Eifer gegen das Dogma des Klimawandels kämpft. Ähnlich wie bei den Kreationisten werden gerne Kronzeugen aus dem etablierten Lager der Klimaforscher zitiert, die im wissenschaftlichen Wettbewerb Kritik an bestimmten Positionen üben. Dazu gehört im Falle der deutschen Klimaforschung Prof. Hans von Storch, dem manches zu dramatisch, zu politisch ist.
Doch von Storch sieht die Globale Erwärmung inkl. eines anthropogenen Anteils als wissenschaftlich bewiesen an und forscht über die Notwendigkeit der Klimafolgenanpassung. Erfreulicherweise ist er auch erneut Berichterstatter beim nächsten IPCC-Bericht für die Arbeitsgruppe “Folgen des Klimawandels sowie möglichen Anpassungsstrategien” des Weltklimarates. Solche streitbare Wissenschaftler mit Ecken und Kanten sind auf jeden Fall bereichernd (empfehlenswert hierzu ein Interview in der Zeit).
Ohne seriöses Fundament
Der wissenschaftliche Streit um die beste Erklärung von Phänomenen ist nicht die Sache von Anhängern eines Dogmas. Sie gehen der Auseinandersetzung lieber aus dem Weg und laden gerne zu speziellen „Kongressen“, bei denen das Dogma als abweichende wissenschaftliche Position medienwirksam von und vor geladenen Gästen vertreten wird.
Gelegentlich aber adelt auch der universitäre Rahmen, in dem wie in diesem Sommer klimaskeptische Positionen auf universitärer Ebene auf Einladung durch den Leipziger Geographie-Professor Kirstein einmal vorgestellt werden sollten. Doch nicht etwa die an der Universität Leipzig in verschieden Disziplinen zum Klimawandel forschenden Wissenschaftler setzten sich mit seinen Thesen auseinander. An der Uni Leipzig forschen Atmosphärenphysiker, Wirtschaftswissenschaftler und Biologen. Herr Kirstein setzte sich dagegen lieber mit Zeitungsnotizen und populären Meinungen auseinander und baute seine Thesen auf unbegründete Aussagen auf. Unterstützt wurde er dabei von dem pensionierten Politikprofessor Klaus Landfried.
Unsinn muss als solcher benannt werden
Unsere Meinungsfreiheit stellt natürlich auch die Freiheit dar, Unsinn erzählen zu dürfen. Der Physiker Georg Hoffmann, der in Paris am Laboratoire des Sciences du Climat et de l’Environnement (LSCE) zur Paleo-Klimatologie forscht, nimmt daher in seinem Blog auch genüsslich den Vortrag von Herrn Kirstein auseinander: „Während Kirsteins Auftritt von unterirdischer Qualität war, voller Fehler und mit einer Informationsdichte, wie man sie sonst nur von Interviews mit Fussballprofis direkt nach einem Spiel mit Verlängerung kennt, war die Einführung von Klaus Landfried quasi die etwas langgezogene Entschuldigung, warum das trotzdem irgendwie in eine Universität gehört. „Gedankenfreiheit, Diskussionsfreiheit, Freie Rede“ forderte er also. Nur das alles kann man in einer freien Gesellschaft Gott sei dank überall ausüben. Die Universität zeichnet sich aber dadurch aus, dass einerseits jeder Gedanke frei geäussert werden kann und dann aber BEGRÜNDET werden muss.“
Nachdem Dr. Hoffmann dezidiert die Aussagen des Vortrags Punkt für Punkt widerlegt hat, kommt er mit der Verleihung des Klimaschmock des Septembers 2010 an Professor Kirstein und die Uni Leipzig zu dem vernichtenden Ergebnis:
„Kirstein lässt den Grönländischen Eisschild in knapp 1000 Jahren verschwinden, schwadroniert über Freiheitsgrade und macht in 45 Minuten Vortrag faktuell mehr falsche Angaben als Nixon und Clinton in ihrer gesamten Amtszeit zusammen. Wenn er demnächst die Erde flach vermutet und dies auch seinen Studenten beibringt, ist das dann auch noch durch die akademische Freiheit gedeckt? Kann jemand dort Kirstein wenigstens mal erklären, dass akademische Freiheit nicht nur bedeutet, jedes nur mögliche Zeug erzählen zu dürfen, sondern eben die Pflicht beinhaltet, Thesen auch BEGRÜNDEN zu müssen.„
Zum Glück leben wir in einer liberalen Gesellschaft, die auch abweichende Meinungen zulässt, so unsinnig sie auch sein mögen, und in der jeder Gelegenheit hat, diese interessierten Personen vorzutragen. Man muss deswegen nicht um seine Freiheit und sein Leben fürchten. Doch das Wehklagen all derer, die bedauern, dass Ihre Meinung nicht ausreichend gewürdigt wird, sollten nicht dazu führen, nicht auch die Qualität der Aussagen anzuschauen, insbesondere wenn es sich um Wissenschaftler handelt. Gerade diese müssen sich der Kritik stellen, insbesondere, wenn Sie es versäumen, Ihre Meinung ausreichend seriös zu begründen.